Atlas der KI. Die materielle Wahrheit hinter den neuen Datenimperien

Kate Crawford promovierte in Sydney über den modernen Wandel des Erwachsenwerden- und seins. Sie forscht in New York bei Microsoft Research und am AI Now Institute der New York University. Foto: Cath Muscat.

Künstlich? Intelligent? Oder keins von beiden?

Kate Crawford zeichnet eindringlich die materielle und materialistische Grundlage der so genannten Künstlichen Intelligenz nach und enthüllt ein System von Raubbau, Ausbeutung und Manipulation.

Sind Sie auch ein Roboter? Haben Sie heute mit einem Bot gechattet oder online mit einer künstlichen Beauté geflirtet? Und hatte das Timbre des Mitarbeiters dieses Umfrageinstituts vorhin am Telefon nicht einen merkwürdigen Nachhall? War er ein Mensch, Originale Realität (OR) – oder verdankte er sich Simulation, also Künstlicher Intelligenz, also Virtueller Realität (VR)? Was aber ist eigentlich Künstliche Intelligenz? Und ist sie überhaupt künstlich und zudem intelligent? Kate Crawford antwortet auf die letzte Frage: nein und nein. Sie fächert die digitale Welt in Schichten auf, so wie das einst gedruckte Atlanten in Buchgestalt machten. Sie beschreibt und besucht lauter weiße Flecken des öffentlichen Bewusstseins. Kate Crawford gelingt das erzählerisch auch deswegen so gut, weil sie eigentlich aus Popkultur und der bildenden Kunst kommt. Sie kann auf Ausstellungen im Museum of Modern Art in New York und im Londoner Victoria & Albert Museum zurücksehen. Als Wissenschafterin gehört sie seit Längerem zu den scharfsinnigsten Kritikerinnen der digitalen Welten. Ihren »Atlas« lässt Crawford schon im ersten Kapitel mit dem »geologischen Blick« beginnen. Hinter jedem Endgerät steht eine Lieferkette von den Abbaugebieten der seltenen Erden bis in die Mikrostrukturen der Smartphones, Rechner und KI-Systeme. Denn hinter der Unendlichkeit des digitalen Raums verbergen sich sehr endliche Rohstoffe für die Bauteile, die KI am Laufen halten. Da tun sich hinter den Nutzeroberflächen die Abgründe ganz buchstäblich auf: Minen, Schwefelbäder und Sondermüll. Es ist keineswegs eine saubere Technologie, im Gegenteil. Raubbau und Umweltverheerungen finden später eine Parallele im Raubbau der Daten, der als »Kolonialismus« einiger weniger, global dominanter Datenkraken gezeichnet wird. Bis in die Emotionen hinein kann KI jeden Menschen in konsumistische Datenpunkte zerlegen. Die Prinzipien des »affective computing« orientieren sich dabei an höchst zweifelhaften Messmethoden aus dem 19. und 20. Jahrhundert wie die Schädelvermessung der frühen Rassentheoretiker und einer Theorie angeblicher Basisemotionen. All das soll in der Mustererkennung der KI nun zu wissenschaftlichen Parametern rehabilitiert werden. KI ist somit weitaus mehr als »nur« ein Werkzeug. (Foto: Gemeinfrei)

Atlas der KI. Die materielle Wahrheit hinter den neuen Datenimperien


Crawford, Kate
C.H.Beck