„Ich habe getötet, aber ein Mörder bin ich nicht“. Der Völkermord an den Armeniern, die Rache der Opfer und die Geheimoperation Nemesis

Birgit Kofler-Bettschart studierte Rechtswissenschaften und arbeitete anschließend für die UNESCO in Paris, im diplomatischen Dienst und als Kabinettchefin im österreichischen Gesundheitsministerium. Heute ist sie als Journalistin, Kommunikationsberaterin und Verlegerin in Wien und Triest tätig. Foto: Monika Caban.

Ein Mörder? Nein!

Birgit Kofler-Bettschart schildert den Völkermord an den Armeniern 1915, die Vergeltungsaktion »Nemesis« und deren Folgen für das Völkerrecht sowie ein Krieg-Frieden-Miteinander im Kaukasus bis heute.

Die Armenier haben ein Wort dafür, »Aghet«, zu Deutsch: Katastrophe. Damit gemeint sind jene Ereignisse, die im Frühjahr 1915 einsetzten und denen im Lauf der folgenden Monate ungefähr 1,5 Millionen Armenierinnen und Armenier zum Opfer fielen. »Aghet«, das war der Völkermord am armenischen Volk, den radikale hypernationalistische Türken in unsagbar grausamer Weise planten und umsetzten. Es war der erste Versuch im 20. Jahrhundert, eine ganze Ethnie auszulöschen. Dieser Massenmord zog sich von den großen Städten bis in den tiefen Osten der Türkei. Es gab Pogrome, Massaker, schließlich Hungermärsche. Die Motive der Türken gründeten ideologisch im Ziel einer ethnischen Homogenität des kurz zuvor auseinander gebrochenen osmanischen Vielvölkerstaats. Da im Ersten Weltkrieg Deutschland und Österreich-Ungarn mit der Türkei alliiert waren, blieb dort die Kritik verhalten, ein Bruch sollte vermieden werden. Dabei attestierte der damalige deutsche Vizekonsul in Erzerum dem federführenden jungtürkischen Komitee für Vereinigung und Fortschritt »Rassenhass«. Birgit Kofler-Bettschart erzählt von diesem häufig übersehenen blutgetränkten Kapitel der Welthistorie, noch mehr aber von einer Aktion, die sich in den folgenden Jahren daraus entwickelte, der »Operation Nemesis«. Das mit Abbildungen und Landkarten ausgestattete Buch schildert Vergeltung, was das griechische »Nemesis« auf Deutsch heißt: Junge Armenier und einige Armenierinnen schlossen sich zu Gruppen zusammen, um die Hauptverantwortlichen des Genozids zur Rechenschaft zu ziehen, lies: zu töten. Ein Motiv war Rache, ein anderes, weiterwirkendes, sollte sein, die Weltöffentlichkeit auf den Genozid aufmerksam zu machen und wachzurütteln. Mittelfristig bildete dies tatsächlich den juridischen Grund für den Völkerstraftatbestand »Verbrechen gegen die Menschlichkeit und gegen die Zivilisation«. Exakt diese Formulierung fand sich 1915 in der Protestnote Großbritanniens, Frankreichs und Russlands, in der der bis heute von offizieller türkischer Seite in Abrede gestellte und in seinen Ausmaßen relativierte Völkermord an den Armeniern scharf verurteilt wurde. Kofler-Bettschart zieht Linien bis heute, bis zu aktuellen Konflikten und mittelgroßen Kriegen der Kaukasusanrainer. (Foto: Gemeinfrei)

„Ich habe getötet, aber ein Mörder bin ich nicht“. Der Völkermord an den Armeniern, die Rache der Opfer und die Geheimoperation Nemesis


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