Seelenzauber. Aus Wien in die Welt. Das Jahrhundert der Psychologie

Steve Ayan studierte in Berlin, Düsseldorf, Reading und Neapel Psychologie, Literaturübersetzung und Wissenschaftsjournalismus. Er ist seit 2003 Redakteur beim Verlag Spektrum der Wissenschaft. Foto: Hardy Krüger.

Feinnervig und hochnervös

Steve Ayan schildert in »Seelenzauber« plastisch, lebendig und kenntnisreich die mehr als 120 Jahre kurze Geschichte der Psychoanalyse und wie sie von Wien aus in die Welt kam.

Hätte der Kettenraucher diesen Schutzgeist mit seinen Zigarren vertrieben? Oder doch mit der Schreibfeder? Jedenfalls hätte der humanistisch beschlagene Sigmund Freud gewusst, dass der Schutzgeist eines Orts oft als Schlange auftritt. Auf Latein wurde ein solcher Geist »genius loci« genannt, zu Deutsch: anregendes Ambiente. Ebendies war Wien um und nach 1900 für den Seelenanalytiker Freud und die von seinen Theorien und Schriften in Bann geschlagenen Adlaten. Wien, ab den 1870er Jahren bis 1914 ununterbrochen im Umbau begriffen, war damals eine intellektuell wie künstlerisch feinnervig vibrierende, hochnervöse, laute und sehr dicht bewohnte Metropole. Kein Wunder, dass ausgerechnet hier die moderne Psychotherapie entstand. Deren 120-jährige Historie erzählt Steve Ayan plastisch. Wie auch die Geschichte des US-amerikanischen behavioristischen, labororientierten Verhaltensforschers John Watson oder des Spitals Burghölzli bei Zürich. Er lässt die Anfänge der Psychotherapie und ihre wichtigsten Vertreter Revue passieren: Sigmund Freud, C. G. Jung und Alfred Adler, zudem aufregende Nebenhauptfiguren, die heute zum größeren Teil fast bis ganz vergessen sind – obschon sich ihre Neuentdeckung mehr als lohnt, und die Lektüre ihrer Aufsätze und Bücher mehr als aufregend ist – wie beispielsweise Otto Rank, Melanie Klein, Anna Freud, Sabina Spielrein und Jacob Moreno, aus der nächsten Generation dann Carl Rogers und Viktor Frankl. Erzählerisch süffig und mit Elan zeichnet Ayan, der seit mehr als zwanzig Jahren ein erfahrener Zeitschriftenredakteur ist, Haupt- und Nebenwege der Erkenntnisseelensuche nach. Und auch, wie jüdisch die Psychoanalyse schon immer war. Und dies in einem immer antisemitischeren Wien, das ab Mitte der 1860-er Jahre zum Kristallisationspunkt jüdischer Migration des Habsburgerreichs wurde. Deutlich wird auch, dass in den allerersten Jahren weniger die im heutigen Sinne diagnostizierten Krankheiten der Patienten im Vordergrund standen, vielmehr eher Selbsterfahrung. Konzis und unterhaltsam zeichnet Ayan die wichtigsten therapeutischen Strömungen und Submotive, vom Selbst und dem Anderen über Psychodrama oder Ödipuskomplex bis zur Logo- oder Gestalttherapie, nach. (Foto: Gemeinfrei)

Seelenzauber. Aus Wien in die Welt. Das Jahrhundert der Psychologie


Ayan, Steve
dtv