Stadt der Ideen. Als Wien die moderne Welt erfand

Richard Cockett begann 1999 beim ECONOMIST als Korrespondent und berichtete aus Mexiko, Zentralamerika, Afrika und Südostasien. Er war Gastprofessor am Royal Holloway Institute in London und ist zurzeit Fellow am Institute for Advanced Studies in Princeton. Foto: privat.

Der Dynamo an der Donau

Der Engländer Richard Cockett erzählt von Wien als »Innovationsmatrix« und zeichnet die globale Wirkung in eine Vielzahl von Feldern, Disziplinen und Weltsichten nach.

Paris, Edinburgh – und Wien. Dies dürfte die Trias der Aufklärung sein. Und jene drei Städte, die der Modernisierung der Welt entscheidenden Schub verliehen: Paris durch die Gruppe um Diderot, Edinburgh durch schottische Ökonomen wie Adam Smith und Francis Hutcheson; und Wien durch Freud, Klimt, Hayek, Popper, Konrad Lorenz oder Ernst Mach. Was Richard Cockett mit vielen Details und in zahlreichen Vignetten umreißt, ist eine »Matrix der Innovation«. In drei großen Sektionen schildert er Wiens Wandlung zu einer »Stadt der Ideen« zwischen 1870 und 1914. Anschließend skizziert er das »Rote Wien« und dessen Zerstörung und Zerschlagung durch den Austrofaschismus und die Nationalsozialisten und zeigt schließlich den Einfluss von Emigrantinnen und Exilanten ab 1938 ff. auf die Welt auf. Durch Flucht und Abwanderung wurde Wien, so Cockett pointiert, von »der größten Metropole Europas« zu einer »Geisterstadt«. Das sorgfältig wie opulent illustrierte Buch führt die intellektuell wie künstlerische hochdynamische Modernität der Hauptstadt vor, die so zur Kapitale der Innovation wurde, und welche globalen Folgen dies in Architektur, Wohnungsausstattung (Margarete Schütte-Lihotzkys »Frankfurter Küche«) und sozialem Wohnbau, Natur- und Wirtschaftswissenschaften und in der Psychologie, in der Werbung und bei der Entwicklung von Shopping Malls hatte: So entsprang die allererste zur Gänze überdachte Konsummeile, die 1956 im US-Bundesstaat Minnesota eröffnet wurde, dem Kopf Victor Gruens, einem – Wiener. Gleichermaßen war das Hollywood ab 1940 kaum zu denken ohne österreichische oder durch Wien nachhaltig geprägte Regisseure und Drehbuchautoren, etwa Michael Curtiz alias Mihaly Kertész, Billy Wilder oder Fred Zinnemann. Edward Bernays, mit starken Wiener Wurzeln – er war der Neffe Sigmund Freuds –, veränderte Mitte des 20. Jahrhunderts Public Relations und Werbung auf das nachhaltigste. Wer meint, heute sähe man davon nichts mehr, der warte die nächste Pressekonferenz aus dem Golfclubhaus Mar-a-Lago in Florida ab, das heute Donald Trump gehört: Entworfen wurde der Bau bereits 1927 – von österreichischen Architekten, die bis 1918 im Dienst der Habsburgermonarchie standen. (Foto: Gemeinfrei)

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Cockett, Richard
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